Nahaufnahme eines defekten öffentlichen Telekom-Telefons mit rosa Hörer und gelber Displayanzeige mit der Meldung ‚Entschuldigung, zur Zeit gestört‘, Erinnerungen Telefonzellen Telefonzellen Nostalgie Kommunikationskultur
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Erleben, was nicht mehr verbindet

Ich dachte immer, diese Kommunikationsartefakte wären längst abgebaut. 
Tatsächlich habe ich eins im Tristesse-Zentrum der Stadt meiner Wohnhaft gefunden. Dass so ein Teil hier vor sich hin gammelt, fällt kaum auf. Aber in einem feinen Kurort zum Beispiel?

Irgendwie hab ich mich doch gefreut, so ein Relikt aus alten Tagen zu finden. Zu meiner Zeit, da war die Post noch gelb und die Telefonzellen auch. Kommt dir das bekannt vor? Glückwunsch … auch älteres Semester.

Ein heimeliger Ort der Telefonkultur – die öffentliche Telefonzelle

Geraucht wurde früher bei jeder Gelegenheit. Beim internationalen Frühschoppen (für die älteren Semester), nach dem Sex (Semester egal), nach dem Essen, beim Telefonieren …. in der Telefonzelle selbstverständlich auch. Dementsprechend hat es in den Dingern auch gestunken – und nicht immer nur nach Rauch. Ein olfaktorische Feuerwerk aus nassem Hund, Käsemauken und einem Hauch nassem Handtuchs aus der Sporttasche nach drei Wochen.

Bevor es Telefonkarten gab, brauchte man richtiges Geld zum Telefonieren, und zwar in Form von Münzen. Nur sind die Groschen oft einfach so mir nichts, dir nichts durchgefallen. Nachdem man die Münzen wieder aus der Klappe gefummelt hatte, wurden sie wie blöd am Gehäuse gerieben, in der Hoffnung, dass sie dann nicht mehr durchfallen. 

Wer den Blödsinn erfunden hat, warum das jeder gemacht hat und vor allem was das bringen sollte, ist bis heute ungeklärt. 
Ich vermute mal, ein Automatentechniker stellte einst die Theorie auf, die Automaten seien so programmiert, dass sie nur auf „benutzerinteraktive Bewegungen“ reagieren – also wenn der Mensch vorher etwastut, etwa rubbeln. Jedenfalls machte die Reiberei was mit dem Geld. Und das bilde ich mir nicht ein. Das ist so. Ich spreche aus Erfahrung.

Alle Telefone waren an diesen Stellen komplett ohne Lack und das Metall fast bis zum Innenleben durchgescheuert, weil alle mit ihren Tacken da rumgemacht haben.
Und die Telefonbücher …entweder waren sie komplett zerfleddert oder hingen halb abgebrannt in der Ecke. Telefonbücher brauchtest du früher sowieso nicht, kanntest die wichtigsten Nummern sowieso auswendig. Vielleicht mal zum Lesen, wenn du sonst nix hattest. Oder um irgendwen mit einem komischen Namen anzurufen und am Telefon zu verarschen. Aber auch zum Heizen, wenn man sich im Winter mal für einen Moment in so einer Telefonzelle aufwärmen wollte.
Das waren noch Zeiten.

Erinnerungen sind alles was blieb

Wenn ich an meine Ausbildung zurückdenke – damals, zu meiner Zeit – ich war nur an den Wochenenden zu Hause und musste sonntags wieder zurück. Die Anrufe bei der Freundin kosteten ein Vermögen, Ferngespräche eben. Aber ab 18:00 Uhr war es dann günstiger. Da wollten alle telefonieren. In der einzigen Telefonzelle.

„Hallo?“
„Hi, ich bins.“
„Wer?“
„Wie wer? Ich! Klingt noch einer so wie ich?“
„Keine Ahnung.“
„Wie keine Ahnung? Wie gehts?“
„Ach so, du bist das. Ja gut. Und dir?“
„Ja auch gut…was machste?
„Nix.“
„Wie nix? Haste den ganzen Tag nix gemacht?“
„Ja nee … Schule, dann Teestube und dann abgehangen.“
„Ich vermiss dich.“
„Ich dich auch.“
„Mmmm.“
„Mmmm.“

Spätesten dann riss irgendein Idiot die Tür auf.

„Alter, wie lange noch? Willst du da drin übernachten? Mach voran!!!“
„Bist du behämmert? Mach die Tür zu du Spacken.“
„Mach hinne, andere wollen auch noch.“
„Ach leck mich.“

Tür zugerissen, von innen zugehalten, Fuß dagegen gestemmt. Blöd bei dieser Körperhaltung: du musst beim Telefonieren nach draußen kucken. Die, die draussen standen kucken rein. Sehr gerne sogar. 
Und dann ging’s richtig los. Da wurde um die Telefonzelle herumgeschlichen, Faxen gemacht, an die Scheibe geklopft … Was junge erwachsene Männer zwischen 18 und 20 so machen. Was auch sonst.

Irgendwann hatte ich dann keinen Bock mehr.

„Feddich.“
„Wurde auch Zeit.“
„Freu dich nicht zu früh, Sackgesicht.“

Denn!!!!! Die Rache ist mein, sprach der Telefonzellenverdrängte. Kaum war der andere am Telefonieren … Bämmm!!! Tür auf!

„Hömma, hasse schon gewählt? Ich muss nochmal, hab was vergessen…“

Und weiter ging die wilde Fahrt ums Telefonhäuschen. Und alle machten mit. Das macht Spaß … das gefällt. Halligalli vorwärts, rückwärts … DAS waren noch Zeiten. Abenteuer öffentliche Telefonzelle … das war noch was. 

Nostalgische Relikte und das Verschwinden einer Kommunikationskultur

Ich dachte immer, die alten Telefonzellen seien inzwischen verschwunden. Weit gefehlt, wie ich nun las. Ca. 12.000 Stück gibt es noch. Und wenn du glaubst, eine Telefonsäule kann man einfach so abbauen, dann glaubst du das auch nur. Vergiss nicht wo du lebst. Hier baust du nicht mal so eben eine Telefonzelle ab.

Also … ich in meinem schlichten Gemüt würde so ein Teil einfach umschubsen, Kabel abknipsen, drum rum alles wieder fein machen…fertig. In unserer Republik wollen bei einem derartigen Mammutprojekt aber die örtlichen Bauämter, Baufirmen, Recycling-Firmen und Energieversorger mitmachen. 

Das Tiefbauamt muss eine verkehrsrechtliche Anordnung erstellen, damit Aufgrabe- und Absperrgenehmigungen erteilt werden können.
Es braucht eine Bescheinigung zur Kampfmittelfreiheit, die anschließenden Pflasterarbeiten dürfen nur von bestimmten Firmen durchgeführt werden und bis der örtliche Energieversorger den Auftrag zur Stromabstellung umsetzt, kann es Monate dauern.

Leck mich fett…was für ein Gehampel, kein Wunder, dass das nix wird mit uns. Egal.

Jetzt aber haben alle ein Handy. Ich merke mir seitdem keine Telefonnummern mehr und nicht wenige sind der Meinung, ihr Gefasel am Telefon müssen alle mithören.
Ach, manchmal wünsche ich mir so eine schöne gelbe Telefonzelle zurück. Darin könnte man wenigstens den einen oder anderen Laberkopp wegsperren, der meint, sein Umfeld mit seinem Gesülze unterhalten zu müssen. 

Ich weiß….ich sollte gelassener sein. Klappt aber nicht immer. Und Magenta ist übrigens eine scheiß Farbe. Ich will wieder Gelb.

gelbe Telefonzelle der deutschen post
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